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10/22/2014

Schlemmer, Oskar - Staatsgalerie Stuttgart

Oskar Schlemmer: Visionen einer neuen Welt

Die Große Landesausstellung (21.11.2014 - 06.04.205) würdigt das facettenreiche Werk des Stuttgarter Bauhauskünstlers, das alle Varianten der Malerei ebenso wie Skulptur und Bühnenkunst umfasst. Seit rund 40 Jahren sind die Arbeiten Schlemmers, die in ihrer unvergleichlichen Bandbreite und gedanklichen Tiefe einmalig sind, nicht mehr so umfassend in Deutschland zu sehen gewesen. Neben zahlreichen Gemälden, Skulpturen, graphischen Arbeiten und Originalkostümen werden auch bislang unveröffentlichte Dokumente die künstlerische Vision Schlemmers vermitteln. Schlemmers Auffassung vom Menschen als »Maß aller Dinge« war zu seiner Zeit am Bauhaus einzigartig. Dabei spricht er der Kunst die Kraft zu, die Erschaffung einer neuen Welt zu bewirken.


ohne Zweifel einer der bedeutendsten Künstler der Klassischen Moderne, ist besonders für jüngere Kunstinteressierte heute vor allem eines: ein geheimnisvoller Künstler. Seine primär in deutschen und Schweizer Museen ausgestellten Arbeiten und – natürlich – die ikonische „Bauhaustreppe“ im New Yorker MoMA wirken mit ihren stillen Figurenräumen auf den heutigen Betrachter zunächst fremd und unnahbar. Und auch das berühmte „Triadische Ballett“, dessen Originalkostüme in Stuttgart zu sehen sind, ist aufgrund fehlender Filmdokumente und seltener Tanzrekonstruktionen das vielleicht bekannteste unbekannte Meisterwerk des 20. Jahrhunderts. Dazu kommt, dass man Schlemmers facettenreiches Oeuvre, das alle Varianten der Malerei ebenso umfasst wie Skulptur und Bühnenkunst, seit der letzten großen Stuttgarter Retrospektive 1977 in seiner unvergleichlichen Spannweite und gedanklichen Tiefe kaum mehr würdigen konnte. Denn die verdienstvollen Präsentationen 1994 in Düsseldorf oder 1999 in Marseille waren eher schwerpunktmäßig auf Schlemmers innovative Theaterarbeit fokussiert.
Schlemmers Auffassung des Menschen als „Maß aller Dinge“ war zu seiner Zeit, als besonders am Bauhaus abstrakte Tendenzen vorherrschten, ungewöhnlich, sein von dieser leiblichen Basis ausgehendes, unablässiges Ringen um Harmonie und Universalität einzigartig. Sein Kunstwollen war auf ein befreites, lichtes und in umfassendem Sinne modernes Dasein ausgerichtet und ist nur in Zusammenhang mit den ganzheitlichen Reformbestrebungen seiner Zeit zu verstehen.
Schlemmer sprach der Kunst weltverändernde Kräfte zu, verortete sie jedoch letztendlich nicht in individuell-politischer Tat. Seine Visionen eines „neuen“, im Kollektiv und in funktionaler Architektur aufgehenden Menschen reichte eher in metaphysisch-religiöse Sphären und war zunehmend jenseits vom tagesaktuellen Kontext angesiedelt. Wie sich diese Vision im Laufe seines Schaffens verändert hat, wird ein Fokus der Ausstellung und der Katalogbeiträge sein. Herausgearbeitet werden soll, auch anhand bislang unveröffentlichter Dokumente, wie Schlemmer während des Krieges und kurz danach noch auf politische Reformen setzte, während er im Laufe der 1920-er Jahre zunehmend spiritueller, idealistischer dachte und seine Vorstellungen einer neuen Welt im Kontext eines ästhetischen Staates ansiedelte. Nahegebracht wird dem Besucher aber auch, wie Schlemmer, „vom Hellen“ herkommend, nach 1933 die „Rückkehr ins Dunkle“ als desillusionierte Konsequenz seines Weges betrachtete.
Das Faszinierende an diesem Werk ist das Oszillieren zwischen Vision und Utopie. Diese Ambivalenz ist wohl der Grund, warum Schlemmers Werke trotz ihrer Verankerung in der Moderne des Bauhauses zu jenen ganz singulären Andachtsbildern wurden, auf die wir uns immer wieder neu einlassen müssen, wollen wir ihren umfassenden Radius verstehen. Ihr Geheimnis werden wir auch in dieser Ausstellung nicht restlos lüften, doch gilt es aus der Distanz des heutigen Betrachters auch zu fragen, was jenseits des Ästhetischen für uns außerdem die wegweisenden Aspekte dieses Oeuvres sind – zu denken wäre etwa an Schlemmers beachtliche Aussage, wonach er sich als deutscher Künstler aus einem „Land der Mitte“ kommend sah und daher zum Versöhner zwischen Gegensätzen berufen.
Die geplante Werkschau wird chronologisch und thematisch in sechs Sektionen aufgebaut sein, wobei der Bühnenarbeit und er Wandgestaltung je eine Sektion gewidmet wird. Mittels einer konzisen Auswahl seltener Zeitdokumente aus dem Schlemmer Archiv der Staatsgalerie und dem Berliner Bauhaus Archiv wird die Werkentwicklung kontextuell begleitet. Über 200 Gemälde, Aquarelle, Zeichnungen, Skulpturen und Kostüme aus der umfangreichen Sammlung der Staatsgalerie sowie aus nationalen und internationalen Sammlungen sollen den singulären künstlerischen Rang Oskar Schlemmers vor Augen führen – wobei die drei großformatigen Entwurfsserien für die Wandbilder im Folkwang-Museum eine zentrale Würdigung erfahren werden.

Die Ausstellung wird die visionäre Leistung dieses Pioniers eines modernen, Technik und Kunst, Mensch und Zivilisation, Körper und Geist versöhnenden Weltverständnisses würdigen. Und auch die Tragik dieses Weltverständnisses, dem nach der Machtübernahme 1933 Maß, Zahl und Gesetz, d.h. der vermeintlich „unpolitische“ Impetus seiner Kunst, kaum mehr als Bollwerk gegen den Totalitarismus dienen konnten. (Text: Staatsgalerie Stuttgart)