Oskar Schlemmer: Visionen einer neuen Welt
Die Große
Landesausstellung (21.11.2014 - 06.04.205) würdigt das facettenreiche Werk des Stuttgarter
Bauhauskünstlers, das alle Varianten der Malerei ebenso wie Skulptur und
Bühnenkunst umfasst. Seit rund 40 Jahren sind die Arbeiten Schlemmers, die in
ihrer unvergleichlichen Bandbreite und gedanklichen Tiefe einmalig sind, nicht
mehr so umfassend in Deutschland zu sehen gewesen. Neben zahlreichen Gemälden,
Skulpturen, graphischen Arbeiten und Originalkostümen werden auch bislang
unveröffentlichte Dokumente die künstlerische Vision Schlemmers vermitteln.
Schlemmers Auffassung vom Menschen als »Maß aller Dinge« war zu seiner Zeit am
Bauhaus einzigartig. Dabei spricht er der Kunst die Kraft zu, die Erschaffung
einer neuen Welt zu bewirken.
ohne Zweifel einer der bedeutendsten Künstler der Klassischen Moderne, ist besonders für jüngere
Kunstinteressierte heute vor allem eines: ein geheimnisvoller Künstler. Seine
primär in deutschen und Schweizer Museen ausgestellten Arbeiten und – natürlich
– die ikonische „Bauhaustreppe“ im New Yorker MoMA wirken mit ihren stillen
Figurenräumen auf den heutigen Betrachter zunächst fremd und unnahbar. Und auch
das berühmte „Triadische Ballett“, dessen Originalkostüme in Stuttgart zu sehen
sind, ist aufgrund fehlender Filmdokumente und seltener Tanzrekonstruktionen
das vielleicht bekannteste unbekannte Meisterwerk des 20. Jahrhunderts. Dazu
kommt, dass man Schlemmers facettenreiches Oeuvre, das alle Varianten der
Malerei ebenso umfasst wie Skulptur und Bühnenkunst, seit der letzten großen
Stuttgarter Retrospektive 1977 in seiner unvergleichlichen Spannweite und
gedanklichen Tiefe kaum mehr würdigen konnte. Denn die verdienstvollen
Präsentationen 1994 in Düsseldorf oder 1999 in Marseille waren eher
schwerpunktmäßig auf Schlemmers innovative Theaterarbeit fokussiert.
Schlemmers
Auffassung des Menschen als „Maß aller Dinge“ war zu seiner Zeit, als besonders am Bauhaus
abstrakte Tendenzen vorherrschten, ungewöhnlich, sein von dieser leiblichen
Basis ausgehendes, unablässiges Ringen um Harmonie und Universalität
einzigartig. Sein Kunstwollen war auf ein befreites, lichtes und in umfassendem
Sinne modernes Dasein ausgerichtet und ist nur in Zusammenhang mit den
ganzheitlichen Reformbestrebungen seiner Zeit zu verstehen.
Schlemmer
sprach der Kunst weltverändernde Kräfte zu,
verortete sie jedoch letztendlich nicht in individuell-politischer Tat. Seine
Visionen eines „neuen“, im Kollektiv und in funktionaler Architektur
aufgehenden Menschen reichte eher in metaphysisch-religiöse Sphären und war
zunehmend jenseits vom tagesaktuellen Kontext angesiedelt. Wie sich diese
Vision im Laufe seines Schaffens verändert hat, wird ein Fokus der Ausstellung
und der Katalogbeiträge sein. Herausgearbeitet werden soll, auch anhand bislang
unveröffentlichter Dokumente, wie Schlemmer während des Krieges und kurz danach
noch auf politische Reformen setzte, während er im Laufe der 1920-er Jahre
zunehmend spiritueller, idealistischer dachte und seine Vorstellungen einer
neuen Welt im Kontext eines ästhetischen Staates ansiedelte. Nahegebracht wird
dem Besucher aber auch, wie Schlemmer, „vom Hellen“ herkommend, nach 1933 die
„Rückkehr ins Dunkle“ als desillusionierte Konsequenz seines Weges betrachtete.
Das
Faszinierende an diesem Werk ist das Oszillieren zwischen Vision und Utopie.
Diese Ambivalenz ist wohl der Grund, warum Schlemmers Werke trotz ihrer
Verankerung in der Moderne des Bauhauses zu jenen ganz singulären
Andachtsbildern wurden, auf die wir uns immer wieder neu einlassen müssen,
wollen wir ihren umfassenden Radius verstehen. Ihr Geheimnis werden wir auch in
dieser Ausstellung nicht restlos lüften, doch gilt es aus der Distanz des
heutigen Betrachters auch zu fragen, was jenseits des Ästhetischen für uns
außerdem die wegweisenden Aspekte dieses Oeuvres sind – zu denken wäre etwa an
Schlemmers beachtliche Aussage, wonach er sich als deutscher Künstler aus einem
„Land der Mitte“ kommend sah und daher zum Versöhner zwischen Gegensätzen
berufen.
Die
geplante Werkschau wird chronologisch und thematisch in sechs Sektionen
aufgebaut sein, wobei der Bühnenarbeit und er Wandgestaltung je eine Sektion
gewidmet wird. Mittels einer konzisen Auswahl seltener Zeitdokumente aus dem
Schlemmer Archiv der Staatsgalerie und dem Berliner Bauhaus Archiv wird die
Werkentwicklung kontextuell begleitet. Über 200 Gemälde, Aquarelle,
Zeichnungen, Skulpturen und Kostüme aus der umfangreichen Sammlung der
Staatsgalerie sowie aus nationalen und internationalen Sammlungen sollen den
singulären künstlerischen Rang Oskar Schlemmers vor Augen führen – wobei die
drei großformatigen Entwurfsserien für die Wandbilder im Folkwang-Museum eine
zentrale Würdigung erfahren werden.
Die
Ausstellung wird die visionäre Leistung dieses Pioniers eines modernen, Technik
und Kunst, Mensch und Zivilisation, Körper und Geist versöhnenden
Weltverständnisses würdigen. Und auch die Tragik dieses Weltverständnisses, dem
nach der Machtübernahme 1933 Maß, Zahl und Gesetz, d.h. der vermeintlich
„unpolitische“ Impetus seiner Kunst, kaum mehr als Bollwerk gegen den
Totalitarismus dienen konnten. (Text: Staatsgalerie
Stuttgart)